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Wirtschaft
Neben der Vereinheitlichung der Währungen erhielt die Industrialisierung einen wesentlichen Impuls durch die 5 Milliarden Francs, die Frankreich nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 als Entschädigung zu zahlen hatte und die den Kapitalmarkt belebten. Nahezu zeitgleich entstanden große Geschäftsbanken, die den Unternehmen das für Investitionen erforderliche Geld langfristig zur Verfügung stellten. In der Phase wirtschaftlicher Prosperität während der von großem Optimismus getragenen Gründerzeit entstanden zahlreiche neue Aktiengesellschaften, der Aktienhandel florierte in bis dahin unbekanntem Ausmaß, Aktienkurse stiegen scheinbar unbegrenzt, das Spekulationsfieber erfasste weite Kreise des Bürgertums. Gleichzeitig trieben Spekulanten Bodenpreise und Mieten in die Höhe, in Großstädten veränderten neureiche Börsianer nachhaltig das soziale Gesicht mancher Viertel.
Die Industrialisierung ging einher mit einer außerordentlichen Steigerung des Energieverbrauchs, der vor allem von Stein- und Braunkohle gedeckt wurde. Von 1870 bis 1913 stieg die jährliche Steinkohleförderung von 26,5 auf über 190 Millionen Tonnen. Rationalisierung, Investitionen sowie neue Techniken waren ebenso Voraussetzungen für Produktionssteigerung, Gewinnaussichten und internationale Wettbewerbsfähigkeit wie der fortschreitende Konzentrationsprozess. Zum größten Industrieunternehmen in Deutschland entwickelte sich unter Anflred Krupp der Krupp-Konzern, der 1914 rund 80.000 Mitarbeiter beschäftigte.
Für die Entwicklung der Industrie von entscheidender Bedeutung war die enorme Erhöhung von Transportkapazität und -geschwindigkeit bei gleichzeitiger Reduzierung der Kosten durch die Eisenbahn, die ein Motor des Wirtschaftswachstums und Zusammenwachsens des Deutschen Reiches war. Die Eisenbahn erlaubte die Erschließung entfernterer Rohstoffvorkommen und neuer Märkte. Neben der Eisenbahn war das Schiff wichtigstes Transportmittel.
Der rasante Wirtschaftsaufschwung und der aggressiv geführte Kampf um Absatzmärkte und Kolonien führte die Wirtschaftsmacht Deutschland, die sich seit der Jahrhundertwende zunehmend auch als politische Weltmacht positionieren wollte, in einen sich verstärkenden Interessenkonflikt mit den anderen Industriestaaten. In allen industriellen Zentren entstand mit den Industriearbeitern und den Angestellten ein neuer Typ von Arbeitnehmern. Bei einem kontinuierlichen Anstieg der Produktion sank die wöchentliche Arbeitszeit von 72 Stunden (1872) über 62 Stunden (1900) auf 57 Stunden (1914). Gleichzeitig stiegen die Reallöhne kontinuierlich an, die Lebensverhältnisse großer Bevölkerungskreise verbesserten sich, nicht zuletzt auch durch die staatliche Sozialgesetzgebung. Trotzdem kam es aufgrund zu langer Arbeitszeiten und als unwürdig empfundener Arbeitsbedingungen in Deutschland immer wieder zu Streiks, an denen sich Tausende Arbeiter beteiligten.
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