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Alltag im Klassensystem

   Die Industrialisierung veränderte die gesellschaftlichen Gefüge grundlegend. Die Spezialisierung von Dienstleistungen im gewerblichen, öffentlichen und privaten Bereich hielt Einzug. Geschäftsverkehr, Schriftlichkeit, Arbeitsteilung und Rechtsbeziehungen vermehrten und vertieften sich, Löhne und Gehälter von Angestellten wurden verwaltet, Gesetze wurden ausgearbeitet und umgesetzt. Durch die neuen Arbeits- und Werkmöglichkeiten entstand in der Arbeitswelt - auch durch das Einwirken in den privaten Bereich - der neue Mittelstand.

  Auch die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung verbesserte sich. Die Arbeitswelt der Angestellten war hierarchisch gegliedert und überwiegend männlich. Im Gegensatz zum Arbeiter bekam der „neue Angestellte“ seinen Lohn monatlich und pauschal statt wöchentlich und auf Stundenbasis ausgezahlt. Es gab leitende Angestellte mit weitreichender Kontroll- und Organisationsbefugnis, die sozial und kulturell dem wohlhabenden Bürgertum zuzurechnen waren, daneben qualifizierte Kräfte, etwa in der Lohnbuchhaltung, immer häufiger aber auch un- oder angelernte Kräfte mit niedrigem Gehalt und entsprechend unsicherem sozialen Status. Der Kampf um den gesellschaftlichen Status nahm einen großen Stellenwert ein.
Wer es sich leisten konnte, legte sich das modernste aller Statussybole zu: das Automobil.

 
Die Masse der zum Bürgertum zählenden Bevölkerung bildeten demnach eine Mittelschicht aus Bauern, Handwerkern, Kaufleuten und anderen kleinen Gewerbetreibenden,, sowie der wachsenden Zahl mittlerer und niederer Beamter und Angestellten. Sie waren nicht vermögend, verfügten aber über ausreichend Lebensunterhalt. Im Alltag zählten Tugenden wie Fleiß, Sparsamkeit und Disziplin. Die Lebensführung wurde überwiegend an der strikten Erfüllung dieser Tugenden orientiert, die letzlich die Zugehörigkeit zum Bürgertum trotz der geringen finanziellen Mittel sichern sollte.

  „Unter“ den Herrschaften des Bürgertums arbeiteten Dienstleister und Tagelöhner und Arbeiter jeglicher Art. Neben dem (Bildungs-)Bürgertum bildete sich durch die Industrialisierung die Arbeiterschaft, die die Mehrheit der Beschäftigten stellte. Die Lebensbedingungen waren über Jahrzehnte schwer erträglich, so verringerte sich die wöchentliche Arbeitszeit von 72 h (1871) nur ganz allmählich und durch viele Streiks erzwungenen über 61 h (1900) auf 55,5 h vor Beginn des Ersten Weltkrieges. Die Arbeit selbst intensivierte sich und wurde stärker kontrolliert, sie blieb meist Handarbeit und war nicht selten gesundheitsgefährdend. Es handelte sich in den meisten Fällen auch um körperlich anstrengende Arbeit. Vor allem in den Großbetrieben gab es strikte Hierarchien.

  In der vorindustriellen Gesellschaft war die Familiengründung zwingend an den erfolgreichen Aufbau einer selbständigen Existenz gekoppelt gewesen. Dieses alteuropäische Muster des Heiratsverhaltens bestand im Deutschland der Kaiserzeit jedoch nur noch auf dem Land und im Handwerk fort: Hier wurde weiterhin dann geheiratet, wenn der erbende Bauernsohn den väterlichen Hof übernahm oder der Handwerksgeselle in einen Meisterhaushalt einheiratete bzw. mit Hilfe einer Mitgift einen Betrieb übernahm oder gründete. Eine Ehe, die im Jahre 1900 geschlossen wurde, hatte im Durchschnitt vier Kinder. Nur in jeder sechsten Ehe gab es zwei oder drei Kinder und sogar nur in jeder zehnten ein einziges Kind. (Zum Vergleich: 1971 lag die durchschnittliche Kinderzahl in der Bundesrepublik bei 1,5). Das heißt, fast alle Ehepaare lebten um die Jahrhundertwende als Eltern, fast alle Kinder wuchsen mit Geschwistern heran. Die Ehe hatte eine hohe Verbindlichkeit. Sie war auf Dauer angelegt, und ein Auseinandergehen der Eheleute war gesellschaftlich nicht akzeptiert. Auch das bürgerliche Recht bestätigte diese Eheauffassung.

  
Hatte ein Mann um 1900 das 40. Lebensjahr erreicht, so konnte er noch mit einer weiteren Lebensdauer von etwa 26 Jahren rechnen. Für Frauen lag dieser Wert bei 29 Jahren. Nur wenige Menschen aber, nämlich rund fünf Prozent der deutschen Bevölkerung, erlebten das Rentenalter, das die 1889 in Kraft getretene Invaliditäts- und Altersversicherung auf 70 Jahre festlegte. Dennoch bildete dieses Gesetz den Grundstein für eine bis dahin unbekannte arbeitsfreie Altersphase im Lebenslauf jedes Menschen.

   Die Kürze der Lebensdauer hatte weitreichende Konsequenzen für die Lebensstationen des Einzelnen. Da das Heiratsalter bei fast 30 Jahren lag, verbrachten Ehepaare weniger Jahre miteinander, als dann im Laufe des 20. Jahrhunderts üblich wurde. Die Spanne zwischen dem Zeitpunkt, an dem die Kinder das Haus verlassen hatten und die Eltern allein blieben, und dem Tod war relativ kurz. Eine Lebensphase als Rentner, als Pensionär, die uns heute selbstverständlich ist und die in unserer Gesellschaft im allgemeinen viele Jahre umfaßt, war damals unbekannt.


"Verbindung innerhalb von 30 Sekunden"

   Nehmen wir […] an, ein unter der Telefonnummer 60 an das Amt X angeschlossener Abonnent habe den Wunsch, mit Nummer 70 des Amts Y zu sprechen. Zu diesem Behufe braucht er weder eine Kurbel zu drehen, noch auf einen Knopf zu drücken, sondern er hat einfach seinen aus kombiniertem Hör- und Sprechtrichter bestehenden Apparat aus dem Gestell zu nehmen. In demselben Augenblick nämlich leuchtet auf dem Amte X über der Zahl 60 an der mit Nummern bedeckten Umschaltetafel selbsttätig ein winziges Glühlämpchen auf, und die Telefonistin […] ist dadurch von dem Wunsche des Abonnenten […] in Kenntnis gesetzt.Sie steckt nun von einem Paar korrespondierender Stöpsel einen in die neben der Nummer des Teilnehmers befindliche Öffnung und ist dadurch telefonisch mit ihm verbunden.Auf die stereotype Frage „Nummer – bitte?“ hat der Abonnent Amt und Nummer des begehrten Telefonpartners zu nennen. [Und schon wird er durch die passenden Stöpsel mit Nummer 70 des Amtes Y verbunden] Die ganze Prozedur […] vollzieht sich unter normalen Verhältnissen tatsächlich in ungefähr dreißig Sekunden.

 H. Giersberg, Bei den Telephonistinnen. Eine weltstädtische Verkehrsskizze, in: Epkenhans: Leben im Kaiserreich



Literatur:
Epkenhans, Michael: Leben im Kaiserreich. Deutschland um 1900. Stuttgart 2007.
http://www.dhm.de/ausstellungen/lebensstationen/1900_7.htm (Rev. 22.01.11)

 

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